Gevaerts Opern-Einakter glänzen unter neuer Leitung
Dieses Jahr unter anderer musikalischer Leitung. Wegen Erkrankung konnte Alois Rottenaicher nicht mitwirken. Für ihn trat Georg Hermansdorfer, ein im Raum Rosenheim selbst aktiver Opernarchäologe, ans Pult und führte die Mitglieder des Akademischen Orchesterverbandes München durch die nicht einfachen Partituren. Es wird hörbar, warum die Stücke zu ihrer Entstehungszeit so populär und mehrere Arien zu Gassenhauern wurden. Vladars Inszenierungen schnurren wie ein Uhrwerk ab.
Bei der Neuburger Kammeroper gab es keine Übertitel und keine Werkeinführungen. Trotzdem blieb der Publikumszulauf über die Jahre stabil. Auch deshalb ist dieses Unternehmen ein originelles Unikat. Die Vereinsspitze hat für das erste August-Wochenende viele Ehemalige und zum Gelingen unverzichtbare Ehrenamtliche eingeladen. Ein Ehrenplatz in der Geschichte des bayerischen Musiktheaters ist der mit 57 Jahren bemerkenswert ausdauernden Neuburger Kammeroper sicher.
27.07.2025 Roland Dippel in „Donaukurier“
Neuburger Kammeroper zeigt „Der Teufel von der Mühle“ und „So eine Komödie!“
Vladar, der die weitgehend unbekannten Stücke aussucht und sie mit seiner Frau Annette ins Deutsche übersetzt, gönnt sich dabei regelmäßig kleine Nebenrollen auf der Bühne. Wie weiland Alfred Hitchcock huscht er in den jeweiligen Bühnenbildern fast schon traditionell durch die Handlung; diesmal im ersten Stück als grummeliger Dorfpolizist Picard, im zweiten als Diener François. Gerade bei Letzterem lehnt er seinen dienstbaren Geist offenkundig an den Butler James aus „Dinner for One“ an – Lacher garantiert, mimisch grandios, ohne jedoch den Hauptdarstellern die Schau zu stehlen. So zieht sich dieses für die Kammeroper typische Schmunzeln, der permanente Amüsementfaktor, wie ein roter Faden durch die beiden komischen Opern. Und das wuchtige Ensemble mit 33 Musikern des Akademischen Orchesterverbandes München unter der bewährten Leitung von Georg Hermannsdorfer (die leider im Graben unsichtbar bleiben müssen), dem treuen Chor aus Neuburger Sängerinnen und Sängern sowie den professionellen Sopranistinnen und Tenören gibt erneut sein Allerbestes, um den Faktor „Kurzweil“ nicht aus den Augen zu verlieren.
Ist die Kammeroper zu alt oder aus der Zeit gefallen? Das Argument verpufft nahezu wirkungslos, denn als die Vladars 1969 erstmals ihre Idee in Neuburg umsetzten, herrschten andere Zeiten; noch wilder, noch aufrührerischer, selbst in puncto Musik. Im Ensemble befinden sich 2025 eine Reihe junger, herausragender Talente wie Karol Bettley, Gabriel Goebel, Sarah-Léna Winterberg und Elisabeth Zeiler, die mit ihrer Power und Spielfreude das gesamte Auditorium mitzureißen verstehen. In „Der Teufel von der Mühle“ etwa sticht Bettley als Titelfigur der Hafer: Bis zum Abend soll unbedingt eine Frau gefunden sein, zum Heiraten natürlich und zum Wollstrümpfe stricken. Der cholerische Kotzbrocken will das auch gleich vom Notar beurkunden lassen. Aber wer mag schon einen jähzornigen Ehemann? Als mit der wunderbaren Elisabeth Zeiler die Nichte eines reichen Bauern auftaucht, gesellt sich Gleiches mit Gleichem: zwei „Gifthaferl“. Ob das gutgeht? Nach ersten Entladungen, die vor allem das Personal (Goebel und Winterberg) zu spüren bekommen, versprechen sich beide, ihre Launen künftig im Zaum zu halten und es eventuell doch miteinander zu versuchen.
Das Ende wäre ein Verlust für die Kulturstadt Neuburg
Noch mehr spitzt sich die Situationskomik nach der Pause in „So eine Komödie!“ zu. Erneut geht es ums Heiraten, aber nach dem Willen des Bürgers Durosier (Stephan Hönig) nicht der Liebe wegen, sondern um den Wohlstand der Familie zu mehren. So will der Patriarch seine beiden Töchter (Zeiler und Winterberg) um jeden Preis mit den vermeintlich reichen Söhnen zweier Jugendfreunde verbandeln. Doch wir schreiben das 19. Jahrhundert, und die Frauen in Paris lassen sich längst nicht mehr alles gefallen, was Männer mit ihnen so vorhaben. Weil Isabelle und Angéline eine heimliche Liaison mit zwei Komödianten pflegen, legen diese einfach Durosier aufs Kreuz. Sie ziehen Perücken sowie Kunstbäuche an und spielen Subjekte, die man sich in seinen schlimmsten Alpträumen als Schwiegersöhne kaum vorstellen mag. Bis der Herr Papa endlich einsieht, dass gegen wahre Liebe nun mal kein Kraut gewachsen ist. Viele Partituren bewegen sich im beschwingten Dreivierteltakt, die Jungen walzern sich leidenschaftlich durch die keineswegs antiquierte Geschichte. Im Gedächtnis haften bleiben vor allem die fulminanten Soli der Hauptdarsteller, die dem Publikum mehr als einmal Szenenapplaus abringen.
Reinhard Köchl am 28.07.25 in „Neuburger Rundschau
Das Ensemble will frühere Leistungen nicht übertrumpfen, sondern macht weiter wie bisher. Die Musik allerdings wirkt bestechend: „So eine Komödie!“ steht in direkter Verbindung zu Donizettis späten Pariser Komödien wie „Regimentstochter“ und „Rita“. Im „Teufel“ rekapituliert sie auf Höhe der Feinheiten der Frühwerke von Bizet und Thomas. Es gibt mehrere Stücke mit Ohrwurmqualität. Da erklingt das Landleben schon mit der filigranen Delikatesse, wie sich mondäne Großstädter das Leben in der unverdorbenen Natur vorstellten. Der „Teufel von der Mühle“ ist ein cholerischer Kerl von eleganter Gutsherrenart, den eine Frau trotzdem gern nimmt, während auch Diener und Dienerin zusammenkommen. In „So eine Komödie!“ geben sich zwei Schauspieler als die vom Vater zweier Schwestern ersehnten Freier aus und empfehlen sich mit dieser Maskerade als die bessere Partnerschaftsoption. All das wird in schönen Musiknummern entwickelt.
Zeitgemäße Nostalgie
Das substanzreiche Ensemble stände auch für die kommenden Jahre bereit. Mit Stephan Hönig hat Horst Vladar einen idealen Nachfolger für das Väter-Fach gefunden. Der Tenor Karol Bettley liefert sich mit dem Bariton Gabriel Goebel ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen um die Gunst des Publikums. Die Sopranistinnen Elisabeth Zeiler und Sarah-Léna Winterberg wären bei Besetzungen im – wie man früher sagte – ersten und zweiten Fach bestens austauschbar. Das Quintett klingt in den Ensemblestellen gut zusammen. Alle sind Persönlichkeiten, welche den nostalgischen Schmelz der Inszenierungen so bedienen wie die Erwartung an eine ehrliche wie zeitgemäße Darstellung der vormodernen Konflikte.
Wegen Erkrankung konnte Alois Rottenaicher nicht mitwirken. Für ihn trat Georg Hermansdorfer, ein im Raum Rosenheim selbst aktiver Opernarchäologe, ans Pult und führte die Mitglieder des Akademischen Orchesterverbandes München im tief gelegenen Graben durch die nicht einfachen Partituren. An eine historisch informierte Aufführungsform ist bei der nur knappen Probenzeit nicht zu denken.
Roland H. Dippel am 27. Juli 2025 in „Die deutsche Bühne“
Der Teufel von der Mühle (Le diable au moulin) Inhaltlich ist diese Geschichte sicherlich kein Meisterwerk, aber das Ensemble macht unter der Leitung von Vladar mit großem Spielwitz eine herzerfrischende Komödie daraus. Michele Lorenzini hat mit liebevoll bemalten Stellwänden und einigen Requisiten ein wunderbares Heim des Müllers entworfen, in dem es ziemlich hoch hergeht. Sarah-Léna Winterberg und Gabriel Goebel begeistern als Dienerpaar Toinette und Fargeau, die alles versuchen, den leicht aufbrausenden Müller bei Laune zu halten. – Winterberg punktet mit vollem Mezzosopran, und Goebel stattet den Müllerburschen Fargeau mit einem beweglichen Bariton aus.
Karol Bettley meistert die Launenhaftigkeit des Müllers mit Bravour, auch wenn sie stimmlich bei seinem lieblichen Tenor vielleicht nicht so deutlich wird. Umso heftiger vollzieht dann Elisabeth Zeiler als Martha den Wandel von der lieben Nichte zur „Teufelin“. Bei ihrem ersten Auftritt verzaubert sie noch alle mit weichem Sopran. Gemeinsam in der Küche mit Toinette wird sie allerdings zur Furie. Horst Vladar übernimmt die kleine Rolle des Dorfpolizisten Picard und begeistert mit großem Spielwitz, wenn er als Polizist Angst hat, dem Müller einen Strafzettel zu überreichen.
So eine Komödie! (La comédie à la ville). Als zweiten Einakter gibt es dann Gevaerts erste Oper, die 1849 in Gent uraufgeführt wurde. Auch dieser Einakter wird von Vladar mit einer liebevoll gestalteten Personenregie inszeniert und hat inhaltlich mehr Potenzial als das erste Stück. Als Bühnenbild hat Lorenzini dieses Mal einen pittoresken Garten entworfen, der von satten grünen Hecken auf mehreren Ebenen eingerahmt wird. Hier entfachen Karol Bettley und Gabriel Goebel als Flavigny und Grandval ein herrlich komödiantisches Spiel. Nachdem sie zunächst ganz selbstbewusst Durosier ihre Zuneigung zu seinen Töchtern gestehen und brüsk von ihm abgewiesen werden, greifen sie zur List. Bettley gibt den vermeintlichen Sohn des Jugendfreundes als eingebildeten Fatzken, der Durosier für den Diener des Hauses hält und ihn herrlich arrogant abfertigt, so dass Durosier zurecht entsetzt über sein Verhalten ist. Goebel tritt mit Perücke und dickem Bierbauch als der andere Sohn auf, der sich noch unverschämter verhält und dabei obendrein dem Alkohol so sehr zuspricht, dass Durosier berechtigte Zweifel kommen, ob dies die richtigen Männer für seine Töchter sind. Als die beiden sich dann auch noch auf der Bühne lautstark duellieren, platzt Durosier der Kragen, und er jagt die beiden davon.
Stephan Hönig gestaltet den Vater der beiden Mädchen mit autoritärem Bariton, der von seinen Töchtern absoluten Gehorsam seinen Plänen gegenüber einfordert, erweist sich dann aber doch als zärtlich liebender Papa, der seinen Kindern die beiden Rüpel, die ihm Flavigny und Grandval vorspielen, nicht zumuten möchte. Auch wenn die List am Ende aufgedeckt wird, lenkt er relativ schnell ein. Elisabeth Zeiler und Sarah-Léna Winterberg überzeugen als Isabelle und Angéline mit großem Spielwitz und lieblichem Sopran bzw. vollem Mezzosopran. – Auch der Chor der Neuburger Kammeroper, der seit vielen Jahren aus ambitionierten Neuburger Bürgerinnen und Bürgern besteht, begeistert durch große Spielfreude und homogenen Klang. Für die musikalische Leitung der Mitglieder des Akademischen Orchesterverbandes München e. V. ist relativ kurzfristig Georg Hermansdorfer für Alois Rottenaicher eingesprungen, der in den Vorjahren die Produktionen immer musikalisch geleitet hat. Auch Hermansdorfer findet mit dem Orchester einen frischen Zugang zu Gevaerts eingängigen Melodien, so dass es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
Auch im letzten Jahr begeistert die Neuburger Kammeroper mit ihrer Produktion von zwei unbekannten Operneinaktern auf ganzer Linie und scheint den Kulturverantwortlichen zuzurufen: „Seht mal, worauf ihr in den nächsten Jahren verzichtet!“ Ob es noch ein Einlenken gibt?
Thomas Molke auf omm.de