Der Barbier von Sevilla (1782)
von G. Paisiello – G. Petrosellini
Nach diesen Produktionen beschloss der Künstl. Leiter der Neuburger Kammeroper, Horst Vladar, vor allem unbekannte Werke von Komponisten, die in der Musikgeschichte eine Rolle spielen, aufzuführen.
Rosina, Waise, Mündel des Dr. Bartolo
Evi List
Graf von Almaviva, Grande von Spanien
Burkhard Gaffron
Bartolo, Arzt, Vormund Rosinas
Horst Vladar
Figaro, Barbier von Sevilla
Andreas Näck
Don Basilio, Organist, Gesangslehrer Rosinas
Waldemar Holzinger
Ein Notar
Josef Pietschmann
Ein Alkalde
Heinz Hohenester
Musikalische Leitung
Ralf Toursel
Inszenierung
Horst Vladar
Bühnenbild
Heinrich Wladarsch
Produktionsassistenz
Annette van Gent
Cembalobegleitung
Willy Pfaffel
Orchester
Orchester der Neuburger Kammeroper
Gesamtleitung
Anton Sprenzel, Horst Vladar, Heinrich Wladarsch
1. Akt:
Dr. Bartolo, ein älterer, geiziger Junggeselle, will sein hübsches Mündel Rosina heiraten. Wie jeden Tag umschleicht Graf Almaviva am frühen Morgen das Haus Bartolos. Er hat Rosina in Madrid gesehen, sich in sie verliebt und sucht nun einen Weg ihr seine Liebe zu erklären, was bis jetzt durch den eifersüchtigen Bartolo verhindert wurde. Der Graf wird gestört durch seinen ehemaligen Diener Figaro, der sich als Barbier in Sevilla niedergelassen hat und nebenbei als Verseschreiber betätigt. Almaviva sichert sich die Mithilfe des schlauen Barbiers. Rosina erscheint auf dem Balkon, wenig später folgt ihr Bartolo. Er entdeckt in ihren Händen ein Briefchen. Als er danach greift, läßt sie es auf die Straße fallen, von wo es der Graf an sich nimmt. Der erboste Bartolo sperrt Rosina ein, trotzdem gelingt es ihr dem improvisierten Ständchen Almavivas zuzuhören, in dem er sich als armer Student Lindoro ausgibt und ihr seine Liebe erklärt.—-
Rosina hat heimlich ein Briefchen an Lindoro geschrieben und übergibt es Figaro zur Besorgung. Dieser wird Zeuge einer Unterredung des Alten mit Rosinas Musiklehrer, dem intriganten Don Basilio. Basilio hat erfahren, daß Graf Almaviva in Sevilla angekommen sei, weiß aber sofort Rat: Der Graf soll durch Verleumdungen unschädlich gemacht werden. Figaro entdeckt Rosina die Pläne ihres Vormunds und eilt zu Almaviva. Bartolo macht ihr eine Szene, als er Tinte an ihren Fingern entdeckt. Da erscheint plötzlich „Lindoro“, sich betrunken stellend und als Soldat verkleidet, um in Bartolos Haus Quartier zu beziehen. Der Versuch schlägt jedoch fehl.
2. Akt:
Almaviva greift zu einer neuen List. Als Vertreter des angeblich erkrankten Basilio – er nennt sich Don Alonso – erscheint er im Hause Bartolos, um Rosina Gesangsunte-richt zu geben. Allerdings kann er das Vertrauen des argwöhnischen Alten nur dadurch gewinnen, daß er ihm Rosinas Briefchen übergibt. Die Gesangsstunde bietet den jungen Leuten willkommene Gelegenheit zu weiterer Verständigung. Figaro kommt um Bartolo zu rasieren, erhält von ihm den Schlüsselbund und eignet sich den Schlüssel zum Balkonzimmer an. Zum allgemeinen Entsetzen tritt der nichtsahnende Don Basilio ins Zimmer. Allein Almaviva weiß ihn mit einer wohlgespickten Börse den Mund zu versiegeln. Bartolo ist mißtrauisch geworden und läßt sich daher während der Lektion im gleichen Zimmer von Figaro barbieren. Dennoch gelingt es dem Grafen Rosina zuzuflüstern, daß er sie in der kommenden Nacht befreien werde. Als beide zu unvorsichtig sind, fährt Bartolo wütend dazwischen. —-
Bei nächtlichem Gewitter verspricht Basilio dem Bartolo, den Notar zu holen. Bartolo will sich nämlich noch in derselben Nacht mit Rosina trauen lassen. Er zeigt Rosina ihren Brief an den Grafen und erkkärt, Alonso habe ihr nur im Auftrag des Grafen nachgestellt. Rosina fühlt sich verraten, verspricht Bartolo die Ehe und erählt vom Entführungsplan. Bartolo eilt aus dem Hause um die Polizei zu holen, da erscheinen Figaro und der Graf über das Balkonzimmer, der angebliche Lindoro gibt sich als Graf Almaviva zu erkennen, der von Basilio geholte Notar traut die beiden und Basilio läßt sich wieder einmal bestechen. Als Bartolo zurückkommt, kann er nur noch in den Schlußgesang miteinstimmen: Wo verliebte Herzen schlagen, da muß jede Macht versagen, alle Vorsicht ist vergebens.
„DER BARBIER VON SEVILLA“ – in Musik gesetzt von
GIOVANNI PAISIELLO
Die Opernlaufbahn des „Barbier von Sevilla“ begann entgegen dem Willen Beaumarchais – dem Dichter des Originalschauspiels – nicht in Paris, sondern am Petersburger Hofe der Zarin Katharina II. Die dort existierende französische Theatergesellschaft brachte im Jahre 1776, kurz nach der Pariser Uraufführung, den „Barbier“ mit großem Erfolg heraus. Es war das Jahr, in dem GIOVANNI PAISIELLO die Leitung der Petersburger Oper übernahn.
Doch wer war dieser Italiener? Aus Tarent stammend, wo er am 9.Mai 1740 als Sohn eines Tierarztes geboren war, hatte er schon nach kurzem Musikunterricht in der Vaterstadt den Weg nach Neapel und in das berühmte Kenservatcrium Sant’Onofrio gefunden. Die weltoffene Hafenstadt mit ihrem Volkstreiben in engen Gassen und ihren lebensbejahenden Bewohnern war die Hochburg der commedia dell’arte, jener Typen- und Stegreifkomödie, aus der sich auch die heitere Opera buffa als Gegenpol der erstarrenden seria entwickelte. Dem jungen Paisiello, dessen vielbewunderte Stärke auf dem Gebiet der freien Improvisation lag, gefiel das Leben in Neapel ungemein. Es gab ihm Gelegenheit, dem einfachen Volke „aufs Maul zu sehen“. Er komponierte den neapolitanischen Dialekt, den „Zank der Fischerweiber“, Ausrufe eines Marktschreibers“, Kneipenszenen und andere lokale Begebenheiten, die als Kurzopern bald die kleinen Theater füllten. So wurden auch andere Bühnen auf ihn aufmerksam, und er bekam Opernaufträge für Bologna, Venedig und Rom. Sein Ruf drang ins Ausland und zu Katharina von Rußland, die gerade für den erkrankten Hof-komponisten Traetta Ersatz suchte.- So kam es zur Berufung des damals 35-jährigen Komponisten, der nun für volle acht Jahre das musikalische Gesicht St. Petersburgs bestimmen sollte. Kurz nach seiner Ankunft starb der Hofdichter und Librettist Coltellini, auf dessen Mitarbeit er gerechnet hatte. So mußte er zunächst neue Opern auf alte Texte, wie Pergolesis „Serva padrona“ komponieren, ehe er sich hilfesuchend an den neapolitaner Weltmann Galiani wendet. Der empfiehlt für die Umformung der erfolgreichen Beaumarchais-Komödie in ein Opernlibretto jenen vielschreibenden Guiseppe Petrosellini. Paisiello selbst äußerte seine Unzufriedenheit mit den Reimereien des Librettisten, in die er sich jedoch wegen Zeitmangels und der großen Entfernung fügen mußte. Am 15.September 1782 kam es im Kleinen Theater der Eremitage zur ersten Aufführung unserer Oper, die Paisiello der Zarin zugeeignet hatte. Der nach zeitgenössischen Schilderungen bei Hofe sehr positiv aufgenommenen Premiere folgten zahlreiche Widlerholungen in St. Petersburg – hier später auch an der russischen Oper – und Moskau, an die sich ein Siegeslauf durch die Hauptstädte Europas anschloß. 1783 kam es im Hoftheater zu Caserta zur italienischen Erstaufführung. In Wien wartete man mit der Aufführung, bis der Maestro selbst erschien und auf der Rückreise nach Neapel im Jahre 17864 an der Donau Station machte.
Hier kam es auch zu der Begegnung mit dem jüngeren Mozart, der zu dem gefeierten Paisiello als einzigem Tonsetzer Italiens freundschaftliche Zuneigung hegte, seine Vorstellungen besuchte, mit ihm Werke und Gedanken austauschte. Als fünf Jahre später Schikaneder seine Direktion im Freihaus-theater auf der Wieden mit einer deutschsprachigen Aufführung des „Barbiers“ begann, komponierte Mozart für seine Schwägerin Josepha Hofer eine neue Rosina-Arie „Schon lacht der holde Frühling“ (KV. 580).
In seine Wahlheimat Neapel zurückgekehrt, geriet Paisiello 1799 in die Wirren der Revolution, wurde nach der Rückkehr der Bourbonen verhaftet, dann begnadigt und von Napoleon für zwei Jahre nach Paris berufen. Ungeachtet aller politischen Stürme seiner Zeit lebte er fortan in Neapel, geliebt vom Volke und geehrt von den Monarchen. Er starb am 5. Juni 1816 hochbetagt und hinterließ der Nachwelt über 100 Bühnenwerke, zahlreiche Messen und andere Kirchenkompositionen, ferner sinfonische und Instrumentalmusik.
Horst Vladar inszenierte das Werk in farbenrohen, mit viel Liebe fürs Detail gestalteten Bühnenbildern (Heinrich Wladarsch). Geschmackvolle, zeitgemäße Kostüme rundeten den äußeren Rahmen ab. Ein besonderes Verdienst aber hat sich der Regisseur Vladar bei der Führung der Darsteller erworben. Weder gab es ein statuarisches Herumstehen, noch ein Über-die-Rampe-Singen, immer war spielbegründete Bewegung auf der Bühne, ohne in eine sinnlose, nervöse Geschäftigkeit auszuarten. Eine Reihe netter Regieeinfälle, wie das Einblenden farbschöner Diapositive (Ernst Schöberl) mit Szenenbildern der Hauptdarsteller während der Ouvertüre, versetzte die Zuschauer vom ersten Takt an in eine beschwingte Stimmung, die den ganzen Abend über anhielt. Schon im ersten Bild gab es Szenenapplaus, der auch in den anderen Bildern immer wieder aufklang, wenn eine Arie oder ein Duett den Zuschauern besonders gefiel. Man bedenke: Applaus, nicht für eine Verdische Stretta oder ein Pucecini-Duett, auf die das Publikum den ganzen Abend wartet, sondern für eine völlig unbekannte Komposition. Wenn das nicht für Paisiello und sein Stück spricht. Höhepunkte des Abends: Basilios Verleumdungs-Arie, das Terzett im zweiten und das Quintett im dritten Bild.
Auf der Bühne sang und agierte ein junges, spielfreudiges Ensemble. Allen voran Evi List, als Rosina, den Neuburgern noch vom vergangenen Jahr her als Bastienne in guter Erinnerung. Es ist erstaunlich, welches Stimmvolumen in diesem grazilen Persönchen steckt. Die Schärfe des Tons in einigen hohen Passagen müßte sich durch entsprechende technische Schulung noch abstellen lassen. Von der Rolle her ist Rosina als einziges weibliches Wesen zweifelsohne bevorzugt und Evi List ist trotz ihrer Jugend eine so gute Komödiantin, daß sie, ohne zu outrieren, alle Möglichkeiten ausschöpft, die ihr die Partie bietet. Sie ist zärtlich, schnippisch, bös, verliebt, kokett. Sie spielt nicht, sondern sie ist Rosina zum Entzücken des Publikums und wenn das bereits erwähnte kleine stimmliche Manko korrigiert wird und die Koloraturen noch etwas spielerischer, weniger angestrengt kommen, haben Neuburgs Theaterfreunde eine künftige, großartige Opernsoubrette wahrscheinlich zum letzten Mal gesehen. Horst Vladar singt und spielt die Rolle des Dr. Bartoio, des in sein Mündel Rosina verliebten eifersüchtigen Vormundes mit schöner, in allen Lagen ausgeglichener Stimme. Dieses wuchtige „Mannsbild“ bewegt sich mit einer Leichtigkeit und Eleganz in der Szene, die bewundernswert ist. Seine Komik ist nie aufdringlich, seine rollenbedingte Bösartigkeit nie penetrant, so daß man Verständnis für sein Verhalten hat und sogar ein wenig Mitleid empfindet.
Waldemar Holzinger in der Rolle des Don Basilio erhielt, wie bereits erwähnt, bei seinem ersten Auftritt für die Verleumdungs-Arie, auch wenn diese weder musikalisch noch textlich mit der Rossinischen konkurrieren kann, Szenenapplaus, Sein schöner, voluminöser Baß in Verbindung mit einer dezenten Darstellung ließen ihn nie unsympathisch werden, vielmehr bewirkte seine feine, stille Komik, daß er eigentlich kein schwarzer Bösewicht, sondern ein armer Schlucker ist, der sein Mäntelchen nach dem Winde hängt, der ihm finanzielle Vorteile bringt, die er braucht, um überhaupt existieren zu können. Mit Burkhard Gaffron scheint dem deutschen Theater ein begabter, lyrischer Tenor zuzuwachsen, der alles mitbringt, was der Zuschauer von diesem Rollenfach erwartet: einen schönen, weichen Tenor, gutes Aussehen und schauspielerisches Können. Ein Belcanto-Tenor, dem die Rolle des Grafen Almaviva auf den Leib geschneidert sein wird, wenn er nicht mehr ganz so jungenhaft wirkt wie heute. Kleine Unsicherheiten beim Übergang von der Brust- zur Kopfstimme waren sicherlich auf eine Indisposition, bedingt durch eine erst kurz vor der Aufführung überstandene Krankheit, zurückzuführen.
Figaro, als Titelheld, kommt bei Pasiello in jeder Hinsicht schlechter weg als bei Rossini. Er ist nicht der große Einfädler, überall seine Finger im Spiel Habender, nicht der Kopf, der tausend Ideen hat, wenn sie nur entsprechend honoriert werden — kurz nicht der Tausendsassa wie bei Rossini. Es ist das Verdienst von Andreas Näck, daß er aus dieser Rolle mehr herausholte als eigentlich drin ist. Er verfügt zweifelsohne über ein schönes Stimmaterial, das er aber nicht recht vorzeigen konnte, weil er vom Komponisten nicht gefordert wurde. Im Zusammenspiel wirkten Almaviva und Figaro allerdings mitunter mehr wie zwei große Lausbuben, die zusammen etwas ausgeheckt haben, denn als Graf und ehemaliger Bediensteter. Zwei Nebenrollen müssen der Vollständigkeit halber noch erwähnt werden, weil sie durch ihre in die Gesamtkonzeption passende Darstellung zum Gelingen des Abends beitrugen: Josef Pietschmann als Notar und Heinz Hohenester als Alkalde.
Es war ein großer Erfolg, das Publikum dankte mit lang anhaltendem Applaus und verlangte die Darsteller so oft an die Rampe, daß man Sorge hatte, ob der gute alte Vorhang diese Überlastung verkraften könne. An dieser Stelle und aus diesem Anlaß soll stellvertretend für Neuburgs Theaterfreunde einmal dem Mann gedankt werden, dessen Initiative das Stadttheater Neuburg so viel verdankt und der im Programm recht bescheiden unter Beleuchtung aufgeführt ist: Kulturreferent Anton Sprenzel.