Zemire und Azor (1819)

von Louis Spohr – J. J. Ihlée

nach J.-Fr. Marmontel und P. C. Nivelle de la Causée

Azor

Markus Herzog

Sandur, ein persicher Kaufmann

Horst Vladar

Zemire, seine Tochter

Ulrike J. Jöris

Lisbe, seine Tochter

Gabriele Kuhn

Fatme, seine Tochter

Susanne Seefing

Ali, sein Diener

Dirk Mestmacher

Geister und Diener Azors

Chor der Neuburger Kammeroper

Musikalische Leitung

Alois Rottenaicher, Markus Baisch

Inszenierung

Horst Vladar

Bühnenbild

Ulrich Hüstebeck

Korrepetition, musikal. Assistenz

Markus Baisch

Produktionsassistenz

Annette Vladar

Orchester

Mitglieder des Akademischen

Orchesterverbandes München

  1. Akt: Der Kaufmann Sander hat durch Schiffbruch alles verloren. Auf der Heimreise findet er mit seinem Diener Ali während eines Sturmes Zuflucht in der Säulenhalle eines anscheinend menschenleeren Palastes. Geister bewirten die Verängstigten, die bald Vertrauen fassen, sich stärken und dann weiterziehen wollen. Doch als Sander für seine Tochter Zémire eine Rose abbricht, erscheint unter Donnerschlägen der schrecklich miss-gestaltete Azur. Er erklärt dem erschrockenen Kaufmann, ein böser Zauber habe sein Geschick an die Rose gekoppelt. Wer diese breche, müsse sterben. Doch dann erlaubt er Sander, noch einmal zu seinen drei Töchtern heim-zukehren, nimmt ihm aber den Schwur ab, zurückzukommen – oder eine seiner Töchter zu schicken, um ihn zu erlösen. Die Rose gibt er ihm mit.
  2. Akt: Sander wird zu Hause von seinen Töchtern freudig begrüßt. Lisbé und Fatmé sind enttäuscht, weil er keine Perlen und Kleider mitgebracht hat. Zémire freut sich über die Rose. Als sie aber bemerkt, dass der Vater sehr bedrückt ist, dringt sie so lange in Ali, bis ihr dieser das Geheimnis anvertraut: Die Blume bedrohe das Leben des Vaters, doch werde der Zauber unwirksam, wenn sich ein Mensch reinen Herzens opfere. Zémire ist zur Rettung entschlossen, und nichts kann sie zurückhalten. Mit Ali zieht sie ihrem unsicheren Schicksal entgegen.
  3. Akt: Im Spiegelsaal seines Palastes beklagt Azor sein Schicksal. Zémire kommt mit Ali, der sich beeilt, wieder fort zu kommen. Azur lässt Zémire zuerst durch Geister bedienen, doch plötzlich steht er ihr sichtbar gegenüber. Trotz seines Aussehens gewinnt er bald ihr Vertrauen, als er seinen Glauben bekennt: Die Liebe könne auch hässliche Dinge verschönern. Sie singt für ihn as Lied von der Grasmücke, das ihn sehr beeindruckt. Doch hört er aus ihrem Vortrag auch Trauer heraus. Er lässt die um ihre Familie Besorgte in einem Zauberspiegel Vater und Schwestern sehen und erfüllt dann sogar ihren Wunsch: Sie will noch einmal heimkehren, um ihrer Familie von ihrem Wohlbefinden berichten zu können und ihren Vater zu beruhigen. Doch mahnt er sie: Wenn sie nicht vor Sonnenuntergang zurückkehre, müsse er sterben.
  4. Akt: Ali versetzt in Sanders Haus alle in Schrecken, als er Zémires Ankunft in einem feurigen Wagen meldet. Sie erzählt ihrer Familie von dem doch recht menschlichen Ungeheuer und dass sie bei ihm bleiben wolle. Sander versucht, sie zum Bleiben zu bewegen, doch gelingt es Zémire zu entwischen. – Im Palast spürt Azor sein Leben entweichen, da es bereits dunkelt und Zémire nicht gekommen ist. Als sie endlich eintrifft, gewinnt der bereits bewusstlose Azor sein Leben zurück. Auch seine wahre Gestalt – er ist ein persischer Prinz – bekommt er zurück, denn durch Zémires Zuneigung, ja Liebe und Treue ist er erlöst. Nun wird er mit ihr den Thron besteigen.

Spohr wurde am 5. April 1784 in Braunschweig geboren. Sein Vater zog aus beruflichen Gründen – er war Arzt – nach Seesen, wo Louis aufwuchs und eine umfassende Bildung im Geiste der Aufklärung erhielt. Das Musische wurde dabei sehr gefördert: er malte und erhielt schon mit fünf Jahren Violinunterricht. So wurde bereits der Zwölfjährige zu Kompositionsversuchen angeregt. In Braunschweig bereitete er sich auf eine Laufbahn als Berufsmusiker vor. Mit fünfzehn Jahren erhielt er eine Anstellung in der Hofkapelle des Herzogs von Braunschweig. Unzufrieden mit der Art seiner theoretischen Ausbildung begann er mit Begeisterung die Partituren der großen Meister, vor allem W. A. Mozarts zu studieren. Der Herzog förderte ihn großzügig mit Stipendien und ermöglichte ihm Konzertreisen in die Musikzentren Leipzig und Dresden. Für seine Auftritte komponierte er sich selber geeignete Violinkonzerte. Er wurde bekannt und trat so 1805 als Konzertmeister in Gotha bei der Hofkapelle ein.

In dieser Zeit beschäftigte er sich intensiv mit dem Freimaurertum und knüpfte dadurch wichtige Beziehungen, die ihm noch viel helfen sollten. Er konnte die Qualität der Hofkapelle steigern und mit ihr die Wirkung seiner neu komponierten Werke erproben. Da ihn die Oper sehr interessierte – vor allem wollte er an der Schaffung einer eigenständigen deutschen Oper mitarbeiten – bewarb er sich an verschiedenen Theatern um Kompositionsaufträge. Sein Erstling „Die Prüfung“ wurde in Gotha 1806 uraufgeführt. Im selben Jahr heiratete er die Harfenistin Dorette Scheidler, mit der er auf ausgedehnte Konzerttourneen ging. Seine zweite Oper „Alruna“ kam 1808 in Weimar und Kassel auf die Bühne. 1811 folgte „Der Zweikampf mit der Geliebten“ in Hamburg. Während Spohr in Italien konzertierte, hatte 1816 in Prag seine Oper „Faust“ unter der Leitung von C. M. von Weber Premiere, ein Werk mit dem er zum ersten Male sein künstlerisches Streben erfüllt sah und das er zum Amtsantritt als Direktor der Oper 1818 in Frankfurt/M. leicht umgearbeitet auf die Bühne brachte. Hier kam 1819 auch die romantische Oper „Zemire und Azor“ (Neuburger Kammeroper 2000) heraus.

Der klassizistische Romantiker Spohr ist vor allem durch seine Violin- und Kammermusik heute noch des öfteren zu hören. Seine Bühnenwerke sind zwar dem Namen nach bekannt, aber selten zu sehen. „Zemire und Azor“ erzählt die alte Geschichte von der „Schönen“ und dem „Ungeheuer“. „Das Stück entpuppte sich als echte Wiederentdeckung, als eine romantische Zauberoper par excellence mit Waldweben und Geisterchören, groß dimensionierten Ensembles und dankbaren Gesangspartien.
… Horst Vladar gibt in seiner Inszenierung dem Märchen, was des Märchens ist, mit Bühnenzauber und Naivität, mit hübscher komödiantischer Feinzeichnung der Buffofiguren und heroischem Gestus des Liebespaares.

(Opernwelt 9/10 2000)

In ruhigen Bildern frei von allem unnötigen Beiwerk inszenierte Horst Vladar das romantische Singspiel „Zemire und Azor“ für die Neuburger Kammeroper. Als persischer Kaufmann Sandur stand er auch selbst auf der Bühne und gab den Vater, durchlitt mit gedämpft warmem Bass den Gram seines Herzens. Darstellerisch wie gesanglich erfrischend stand ihm Ali (Dirk Mestmacher) als feig-treuer Diener zur Seite, mit dem er die Geschenke der Geisterwelt teilte. Sandurs habgierig-heuchelnde Töchter Lisbe und Fatme (Gabriela Kuhn und Susanne Seefing) kam weit mehr als Nebenrollen-Charakter zu. Mit erstaunlich strahlenden Stimmen und biestig-funkelnden Augen bezauberten sie auf ihre Weise Vater und Publikum. Mit dem Trio „Dich grüßen unsere Lieder“ gelang ihnen und Ulrike Jöris in der Rolle der Zemire ein beseeiter Moment in Erwartung des Vaters.

Zemire bestach durch hohe Bühnenpräsenz vom ersten Moment an und lief nach Momenten intimer Innigkeit (großartig ihre Rosenarie und der Liebesbeweis für Sandur) schließlich in ihrer Liebesbezeugung zu Azor zu eigener Höchstform auf, Unerschrocken und unwiderstehlich gut charakterisierte Ulrike Jöris die gleichermaßen vernunftbetonte wie gefühlsstarke Zemire. Mit innerer Anteilnahme schaffte sie in gesanglicher Hinwendung zur Rose magische Momente zwischen den Polaritäten Realität und Geisterwelt, zwischen Schmerz und Glück. Gegen ihren mit Leichtigkeit geführten Sopran hatte es Azor (Markus Herzog) nicht leicht: Ihm blieb nur eine Palette gedämpfter, gepresster, gequälter Töne zum Ausdruck seiner Seelenpein, Milde gesinnt statt wild trotzend hinkte er mit Glasauge und verzerrter Physiognomie auf seine Rettung mehr hoffend als vertrauend durch seine Gärten, Symbol für das erträumte Paradies mit der geliebten Zemire.

Straff in der Handlung, modern in der Umsetzung gelang der Neuburger Kammeroper diese Liebesgeschichte mit unübersehbaren Parallelen zu Mozarts „Zauberflöte“, wenngleich die Tonsprache Louis Spohrs sich nicht mit dem großen Vorbild messen lässt. Unter der musikalischen Leitung von Markus Baisch entstand ein dynamisch ausgewogener Orchesterpart, wobei wohlklingende Holzbläser Intonationsunreinheiten der Violinen ausglichen.

Ein an floralen Ornamenten und architektonischen Stilmitteln weniger reiches Bühnenbild (Ulrich Hüstebeck), hinter dessen durchsichtigem Rosenvorhang der Chor wie aus dem Off durchschimmerte, hätte die passend gewählten Kostüme mehr zur Geltung gebracht und die Geschlossenheit des Gesamteindruckes noch verstärkt.

Gisela Stingl am 25.07.2000 in „Donaukurier“ (Ingolstadt)
Neuburger Kammeroper